Testbetrieb

Der beschriebene Prototyp unserer Messapparatur wurde ausgiebig getestet und betrieben:

  1. ab 06.11.1984 17:30 Uhr auf dem Dach der Universität Bremen, Naturwissenschaften 1, Gebäudeteil N.
    Die Aluminiumkiste mit den Sensoren befand sich auf dem Dach im Freien, der Wagen mit der Messelektronik befand sich im Gebäude (im Dachaufbau auf dem Gebäudeteil N)

  2. ab 13.11.1984 13:45 Uhr an der Universität Bremen im damaligen Freigelände hinter dem Gebäude Naturwissenschaften 1, Gebäudeteil N (heute mit dem Erweiterungsgebäude MST des NW1 bebaut).
    Die Aluminiumkiste mit den Sensoren befand sich im Freien in wiesenartigem Gelände, der Wagen mit der Messelektronik befand sich in einem dort stehenden Bauwagen

  3. ab 13.02.1985 14:30 Uhr bis 14.09.1985 in ca. 2300 m Entfernung (Luftlinie) vom Atomkraftwerk Würgassen KWW (an der Oberweser) bei einer Gastfamilie in der Gemeinde Beverungen. Zu Details des Aufbaus und den dort erzielten Messergebnissen siehe unter Betrieb in Würgassen.

  4. ab 30.04.1986 16:50 Uhr bis 18.08.1986 06:00 Uhr (anlässlich des Reaktorunfalls von Tschernobyl) an der Universität Bremen in der Nähe des Gebäudes Naturwissenschaften 1, Gebäudeteil N (heute mit Erweiterungen des NW1 bebaut).
    Die Aluminiumkiste mit den Sensoren sowie der Regenmengenmesser befanden sich im Vorgarten vor dem Gebäude, der Wagen mit der Messelektronik befand sich im Labor für Kernstrahlungsmesstechnik. Zu den dort erzielten Messergebnissen siehe unter Betrieb in Bremen.


Die o.a. Betriebszeiträume 1. und 2. dienten noch ausschließlich

  1. der Gewinnung technischer Erfahrung im Dauerbetrieb unter echten Messbedingungen.
    Elementare und unberechenbare Probleme, wie sie vielleicht befürchtet werden könnten, traten nicht auf. Es gab insbesondere keinen einzigen Prozessorabsturz, keinen Ausfall einer Komponente der NIM-Elektronik, keinen Feuchteeinbruch in die Sensorkiste, keinen Detektorausfall (zu letzterem kam es allerdings später, im o.a. Betriebszeitraum 3.). Auch angesichts der im Testzeitraum sehr tiefen Temperaturen von (nachts) bis zu -20 °C hat sich unser Prototyp gut bewährt.

  2. dem unfreiwilligen Sammeln von Erfahrungen mit ganz untechnischen Problemen, wie sie nur die eigenwillige, unberechenbare Natur bietet:
    Wir hatten in der außerordentlich kalten Zeit um die Jahreswende 1984/1985 mit Mäusen "zu kämpfen", die ihre Zeit mit Vorliebe in der wärmenden Nähe unseres Messwagens im Bauwagen verbrachten. Dies brachte uns in Sorge um die Kontinuität unserer Messungen, denn Mäuse sind dafür bekannt, dass sie durchaus auch einmal Kabelisolationen durchknabbern können. Nach einer Besprechung mit an der Universität tätigen Biologen konstruierten wir daraufhin eine spezielle Mäusevertreibungsvorrichtung. Hierbei handelte es sich um einen Sinusoszillator und nachfolgendem Leistungsverstärker, die in einem angeschlossenen Lautsprecher einen (zumindest für uns Menschen) wirklich schrecklichen lauten, hohen, fiesen Pfeifton erzeugte. Mäuse, so wurde uns damals glaubwürdig versichert, benutzten als Alarmsignal zur Warnung untereinander einen speziellen Fluchtton. Auf die uns genannte Frequenz dieses Fluchttons stellten wir unseren Sinusoszillator ein, und hofften auf ein gutes Ergebnis (Mäusefreiheit).

    Als wir die Anlage nach zwei bitter kalten Wochen wieder inspizieren kamen, war jedoch kein Pfeifton mehr zu hören: wir mussten feststellen, dass die possierlichen Tierchen in ihrer Not unsere geniale Vertreibungseinrichtung offenbar ganz gezielt (!) außer Betrieb gesetzt hatten. Hierzu hatten sie sich zunächst durch mehrere Lagen Plastikfolie hindurchgefressen, in die wir unsere handgelötete Platine mitsamt dem Lautsprecher eingewickelt hatten. Anschließend hatten sie die Membran des Lautsprechers rings um die Schwingspule sauber herausgefressen, und dabei auch die Zuleitungsdrähte zur Schwingspule gekappt. (Damit war dann erstmal Ruhe.) Um das Maß voll zu machen (und vermutlich um uns zu zeigen, was sie von uns halten), hatten sie schließlich noch auf die (sicher äußerst verhasste!) signalerzeugende Platine gepinkelt. Hierdurch waren sämtliche darauf vorher noch blanken Kupferflächen und Drähte innerhalb von knapp zwei Wochen bis zur vollständigen Auflösung grün korrodiert - ein grauenhafter Anblick für jeden Elektroniker! (Mäuseharn ist hoch aufkonzentriert!)
    Freundlicherweise haben die Mäuse jedoch ganz darauf verzichtet, die komplexe und teure NIM-Elektronik im Messwagen in gleicher Weise zu bearbeiten - es schien ganz deutlich so, als ob sie genau gewusst hätten, dass wir bei allzuviel Vandalismus den wärmenden Messwagen fortgenommen hätten.

    Im Nachhinein war uns unser Denk- oder Konzeptfehler in Sachen Mäusevertreibung bald klar:
    Mäuse benutzen ihre Fluchttöne sinnvollerweise nur bei Bedarf, eben als gegenseitige Warnung vor einer akuten Gefahr. Unsere Anlage hat jedoch ihre Frequenz als Dauerton ausgestrahlt; ohne uns damals dessen bewusst zu sein, versuchten wir wohl eine Art Overkill. Die Vertreibungsanlage verhielt sich demnach ganz unmäusisch. Da in ihrem Lärm echte Fluchttöne untergehen mussten und eine Warnung vor akuter Gefahr nicht mehr möglich war, muss es für die Mäuse im Umfeld eine Frage von Leben oder Tod gewesen sein - eine absolute Notwendigkeit - die störende Anlage außer Betrieb zu setzen. (Vielleicht haben sie einen Mäuserat einberufen, der eine alte, schwerhörige Maus ausgewählt und für die grobe Arbeit vorgeschickt hat.)

  3. der Gewinnung von Erfahrungen mit dem Einlesen, Übertragen und der Auswertung unserer ersten echten Messdaten der Umgebungsstrahlung.
    • Das Wiedereinlesen der Messdaten stellte sich sofort als notorisch unzuverlässig, und damit als eine wesentliche Schwachstelle der digitalen Seite unseres Systems heraus. Als technische Fehlerquellen wurden u.a. identifiziert:
      • Fehlstellen in der Magnetisierungsschicht der Magnetband-Cassetten
      • Sehr häufig auftretende Schmutzteilchen auf dem Magnetband und/oder auf den Schreib-/Leseköpfen
      • Unterschiedliche Kopfneigungen (head-skew) bei den zur Aufnahme und zur Wiedergabe verwendeten Geräten
      die alle zu häufigen Aussetzern beim Einlesen der Daten führten. Diese mussten folglich manuell auf Bitfehler überprüft werden, die typischerweise als "unmöglich" erscheinende Zahlenwerte, d.h. als absurde Ausreißer einzelner Messwerte, in Erscheinung traten. An automatische Prüf- und Korrekturverfahren, wie sie heute z.B. elementar und unbemerkt bei jedem Festplattenzugriff und in jeder Internet-Datenkommunikation implementiert sind, war im damaligen Zeitalter der technischen Einfachheit noch nicht zu denken. Das Dateneinlesen musste also i.d.R. mehrfach wiederholt werden, und war für die Durchführenden regelmäßig kein Quell der Freude!

    • Die von den Magnetband-Cassetten auf eine Mikroprozessor-Experimentierplatine (Siemens ECB85) eingelesenen Daten konnten wir im Labor für Kernstrahlungsmesstechnik anschließend blockweise in die dort damals benutzten Vielkanalanalysatoren (Modellreihe Canberra 8100) übertragen. Deren Bildschirme waren klasssiche, nicht allzu große Oszilloskopsichtröhren, die zumindest die Überprüfung auf die o.g. Datenübertragungsfehler, sowie die manuelle Erkennung evtl. Erhöhungen der Strahlungsintensitäten in der Zeitreihe zuließen.

      Aus den Vielkanalanalysatoren wurden die Daten mit einer vorhandenen, professionellen Magnetband-Station auf 1/2-Zoll-Magnetbänder (IBM-9-Spur-Format) aufgespielt; diese Magnetbänder konnten dann im damaligen Rechenzentrum der Universität manuell abgegeben und dort (von uns) zur noch zu konzipierenden Auswertung eingelesen werden.

    • Von einer solchen eigentlichen, echten Auswertung der Messdaten hatten wir alle - mangels Erfahrung, und angesichts der zu bewältigenden Arbeit zu deren Erhebung - noch die wenigsten Vorstellungen entwickelt. Schon die Erzeugung übersichtlicher und aussagekräftiger grafischer Darstellungen von Zeitreihen war auf den damals wenig grafikorientierten Großrechenanlagen eine Herausforderung. Immerhin gelang dem damit überwiegend befassten Kollegen zusätzlich bereits frühzeitig die hervorragende Modellierung von kurzzeitigen Strahlungserhöhungen infolge der von Regen aus der Atmosphäre ausgewaschenen Zerfallsprodukte des Radon-222.

      Eine Datenauswertung, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient, erscheint aber erst mit den heutigen technischen Gegebenheiten möglich, und selbst heute ermöglichen und liefern die aktuell erarbeiteten Möglichkeiten immer wieder neue Ideen, die darauf warten, mit Geschick und viel Intuition in zusätzliche Auswertemöglichkeiten umgesetzt zu werden.

      Die auf diesen Seiten präsentierten Grafiken wurden sämtlich aus den aus der damaligen Zeit herübergeretteten Rohdaten unter Verwendung eines heutigen Auswerteprogramms angefertigt.

    • Wie im vorherigen Spiegelpunkt angedeutet, bewirken manche Regenfälle deutliche Erhöhungen der Strahlungsintensität im Zeitverlauf. Um derartige Ereignisse von künstlich verursachten - z.B. durch eine radioaktiv befrachtete Wolke aus einer Atomanlage - unterscheiden zu können, erwies sich die gleichzeitige Messung der gefallenen Regenmenge im Messzeitintervall als besonders wichtig. Schon die allerersten echt erhobenen und angeschauten Messdaten veranlassten uns folglich zu einer Erweiterung der Messanlage um die Messung der Regenmenge vor Ort (siehe unter Ergänzung: Regensensor)

Bei den o.a. Betriebszeiträumen 3. und 4. waren dagegen der Dauerbetrieb sowie die Erhebung echter Messdaten die primären Ziele (siehe unter Betrieb in Würgassen sowie unter Betrieb in Bremen).