Anwender
Dr. E. H. Krüger nahm zunächst mehrere eigene - aus heutiger Sicht technisch einfach erscheinende - Messstationen in der Nähe des Atomkraftwerks Ohu (KKI = Kernkraftwerk Isar) in Betrieb. Hier konnte er bereits im März 1984 eine besondere Radioaktivitätsabgabe während eines Brennelementewechsels - mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ablagerung von radioaktivem Jod-131 in der Umgebung des Messortes - nachweisen (!).
An mehreren anderen Orten in Deutschland waren zu dieser Zeit Atomkraftwerke in Bau oder konkret geplant; sehr viele weitere Standorte waren hierfür in Erwägung gezogen.
Zur exemplarischen Erinnerung:
Eine wichtige, in weiterem Umfeld bekannt gewordene Studie aus der Kernforschungsanlage Jülich (Bonka-1975a) "untersuchte" damals die zu erwartenden radioaktiven Auswirkungen aus dem Betrieb von Atomkraftwerken mit gesamter installierter elektrischer Leistung von bis zu 540 GW - entsprechend mehr als 400 "großen" Atomkraftwerken zu je 1300 MW - nur in den heutigen alten Bundesländern (!). Die Autoren dieser Studie kamen darin - selbstverständlich - zu dem Schluss, dass die zusätzlichen Strahlenbelastungen durch den Normalbetrieb dieser Atomanlagen innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung bleiben würden (d.h. also, dass die zusätzliche Strahlenbelastung und die von ihr verursachten Schädigungen nur schwer nachweisbar sein würden.)
Es verwundert nicht, dass sich überall in Deutschland Initiativen aus besorgten, sensibilisierten, und motivierten Bürgern gründeten, und zwar insbesondere an den Standorten der bereits in Bau befindlichen Atomkraftwerke. Wer immer aus diesem Personenkreis es nur aushielt, wirklich hinzusehen, musste feststellen, wie die gegen den atomaren Wahnsinn protestierende Öffentlichkeit von sachlich gänzlich ahnungslosen Politikern vollgeschwafelt, von hochbezahlten atomindustriehörigen "Experten" belogen, und von der Staatsmacht buchstäblich niedergeknüppelt wurde. Als schließlich klar wurde, dass Fertigbau, Inbetriebnahme und Betrieb des örtlichen Atomkraftwerks mit keiner angemessenen Maßnahme zu verhindern sein würde, bildeten sich an mehreren dieser Standorte aus den Reihen der Bürgerinitiativen gemeinnützige, eingetragene Vereine. Diese setzten sich das Ziel ...
- wenn sie die Inbetriebnahme schon nicht verhindern konnten, dann doch wenigstens als unabhängige Instanzen den Atomkraftbetreibern und den ihnen hörigen Behörden auch im Routinebetrieb genau "auf die Finger zu sehen",
- hierzu die radioaktiven Abgaben aus dem Atomkraftwerk zu messen,
- die Messwerte zu deuten, zu veröffentlichen und zu erklären
- sehr genau auf sonstwie geartete Besonderheiten in Zusammenhang mit der Atomanlage zu achten, und diese im Lichte der selbst erworbenen Kenntnisse über die Kraftwerkstechnik und ihre Schwachstellen zu deuten und zu veröffentlichen
- und auf diese Weise das Bewusstsein um die Problematik der Atomanlage an ihrem Standort in der Öffentlichkeit wach zu halten.
Es war dabei von vornherein klar, dass es mit den begrenzten Mitteln (erhebliche Eigenarbeit, sowie privat aufgebrachte Mitgliedsbeiträge und Spenden) niemals möglich sein würde, eine benachbarte Atomanlage vollständig messtechnisch zu überwachen (z.B. in jeder sinnvollen Kombination von Windrichtung und Abstand). Alle Messungen unabhängiger Initiativen können immer nur stichprobenartigen Charakter besitzen. Ziel der Arbeitsgemeinschaft war es folglich nie, konnte es nicht sein und ist es auch heute nicht, nach Eintritt der nächsten, mit einiger Sicherheit kommenden Reaktorkatastrophe besonders schnell zu warnen.
Die Warnung der Bevölkerung vor Katastrophen ist Aufgabe der von uns allen bezahlten Behörden, die wir keinesfalls aus dieser ihrer Verpflichtung und Verantwortung entlassen wollen!
Ziel musste und muss es dagegen sein, den Einsatz der Atomtechnologie nach Kräften zu behindern (wenn denn die Verhinderung schon nicht möglich war), und den Protest gegen die Anwendung dieser menschenverachtenden Technologie konstruktiv zum Ausdruck zu bringen. Hierzu sollte das Bewusstsein in der Öffentlichkeit um die latente, enorme Gefährlichkeit, die physikalischen und technischen Schwachstellen, und die langfristige Belastung aus der gesamten Atomtechnologie wachgehalten werden. Der messtechnische Nachweis radioaktiver Emissionen aus Atomanlagen im Routinebetrieb, sowie die Aufdeckung erhöhter Abgaben sowie ansonsten vertuschter "Störfälle", und deren Bekanntmachung und Problematisierung, sollte, soll und kann hierzu ein geeignetes Mittel sein.
Wer sich darauf verlässt, von Betreibern und/oder Behörden objektiv, vollständig, rechtzeitig über kritische Sachverhalte, Nachteile, Probleme, Gefährdungswahrscheinlichkeiten und Gefährdungspotentiale unterrichtet zu werden, hat aus der Geschichte der Atomenergie absolut nichts gelernt!
Es gab auch schon in den Anfangsjahren (und ganz besonders natürlich in der Zeit nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl am 26.04.1986) einige größere und/oder auch kleinere Firmen, deren primäres Ziel der Verkauf von mehr oder (meistens) weniger zur Umgebungsüberwachung geeigneter Messgeräte an Bürgerinitiativen war. Und es gab leider eine Reihe von nichtsahnenden Initiativen, die auf derart (für kritische Menschen durchaus durchschaubar) falsche Versprechen und bunte Prospekte hereingefallen sind (und die nach meiner Kenntnis heute allesamt nicht mehr aktiv sind).
Das Projekt von Dr. E. H. Krüger stach von all diesen rein kommerziell orientierten Konzepten äußerst positiv ab, als er ...
- primär an der Sache selbst interessiert war und nicht am Verkauf von Geräten
- nicht das falsche Versprechen gab, mit dem Kauf und der Installation eines oder mehrerer Messgeräte sei die Umgebungsüberwachung ein Kinderspiel
- sich kontinuierlich fundierte, echt innovative Gedanken um Möglichkeiten und Grenzen und Verbesserungsmöglichkeiten der Messtechnik machte,
- von vornherein offen zugab, dass auch er in Sachen Umgebungsüberwachung "ein Lernender" war (wenngleich auf deutlich höherem Niveau),
- das Ziel hatte, die Initiativen in gemeinsamer Arbeit in den Stand zu versetzen, ihre Messanlagen selber zu betreiben, zu warten, und ihre eigenen Messwerte selber zu deuten
- das Projekt Umgebungsüberwachung ganz überwiegend als einen Zusammenhang gemeinschaftlichen Lernens an der Sache selbst ansah
- das Projekt Umgebungsüberwachung in diesem Sinne aus eigenem Antrieb kontinuierlich wissenschaftlich begleitete.
Aus diesem Selbstverständnis heraus arrangierte und organisierte E. H. Krüger bereits für den 07.-09.03.1986 (also noch vor der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl) das erste Treffen mit den damaligen Vertretern der Anwender der von ihm erstellten Messanlagen:
- Aktionsgemeinschaft für Umweltschutz Südliches Ried (AGU), Darmstadt. 3 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Biblis (KWB)
- Verein für angewandten Umweltschutz VAU e.V., Hameln (Gründung 09.1984). Anfänglich 4, später 6 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Grohnde (KKG)
- Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz ARGUS e.V., Koblenz (Gründung 05.1985). Anfänglich 3, später 6 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich (KMK)
Dieses Anwendertreffen mit Vorträgen und regen Diskussionen zu allen interessierenden Themen: von den physikalischen Hintergründen bis zur praktischen Messtätigkeit, zu den Vorzügen und Schwächen der eingesetzten Geräte, mit Ideen und Vorschlägen für Verbesserungen und mit intensivem Erfahrungsaustausch, z.B. über die jeweilige Öffentlichkeitsarbeit vor Ort, wurde zum Prototyp einer eigenen Institution.
Bis heute finden entsprechende Nachfolgetreffen unter der informellen Bezeichnung:
Seminar der Arbeitsgemeinschaft Umgebungsüberwachung von Atomanlagen ("AUA-Treffen")
regelmäßig und mit großem Nutzen und Erfolg für alle Beteiligten statt (derzeit 2x pro Jahr).
Bald gründeten sich weitere Messgruppen an anderen Standorten, und im Lauf der Zeit kamen zu dieser Arbeitsgemeinschaft dazu:
- Gesellschaft für angewandten Umweltschutz (GAU) e.V., Beckum (Gründung 10.1987). 4 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Hamm-Uentrop (THTR)
- Landesatomüberwachung Saar (LAUS) e.V., Saarlouis (Gründung 02.1988). 3 Messanlagen in der Nähe des Atomkraftwerks Cattenom (Frankreich)
- Arbeitskreis Fessenheim in Ökoinstitut Freiburg und BUND e.V., Freiburg (Gründung 06.1988). 3 Messanlagen in der Nähe des Atomkraftwerks Fessenheim (Frankreich)
- Messen für aktiven Umweltschutz (MAUS) e.V., Trier (Gründung 07.1988). 1 Messanlage in der Nähe des Atomkraftwerks Cattenom (Frankreich)
- Fachgruppe Radioaktivität (RADI) (in der) Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg e.V.. 4 Messanlagen in der Nähe von Transportbehälterlager (TBL) und Pilot-Konditionierungsanlage (PKA)
- Arbeitskreis Technischer Umweltschutz (AGTU) im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V., Kreisgruppe Emsland. 3 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Emsland (KKE), sowie der Brennelementefabrik Lingen (ANF)
- Strahlenmessgruppe (SMG) im Bund Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) e.V., Besigheim. 3 Messanlagen in der Nähe des Kernkraftwerks Neckarwestheim (GKN).
Diese Auflistungen enthalten nur die Gruppen, die nach Abschluss ihrer Aufbauphase Messstationen nach dem auf diesen Seiten beschriebenen Vorbild betreiben, und kontinuierlich in der Arbeitsgemeinschaft Umgebungsüberwachung mitarbeiten. Mehrere der genannten Gruppen betreiben zusätzlich (aus historischen Gründen, sowie aus Kostengründen) weniger umfangreich ausgebaute Messstationen.
In der Folgezeit haben (aus jeweils eigenen Gründen) einige der genannten Gruppen ihren Messbetrieb eingestellt und sich aufgelöst, wobei die kostbaren Gerätschaften meist überarbeitet und anderen Gruppen "vererbt" wurden. Die Sammlung mit den Links zu den derzeit aktiven Gruppen findet sich hier .